Leserbrief zu der Kolumne von Herrn Dirk Iding vom 19.02.2011 (Hanau-Post)

Allgemein

Zu der Glosse von Herrn Iding möchte ich folgende Anmerkungen machen:

Der Bedarf an zusätzlicher Stromenergie in Deutschland ist m. E. nicht gegeben. Laut Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie zeigt „der Primärenergieverbrauch in Deutschland seit Beginn der 90er Jahre trotz wirtschaftlichen Wachstums einen rückläufigen Trend (2010 circa 15 Prozent weniger als 1990). Damit unterscheidet sich die Situation hierzulande grundlegend von der in vielen vergleichbaren Ländern, in denen mit der wirtschaftlichen Produktion auch der Energiebedarf weiter anwächst“.

Das führte dazu, dass Deutschland mittlerweile ein bedeutender Stromexporteur geworden ist. Im 1. Quartal 2010 wurden per Saldo 9 TWh mehr exportiert als importiert.
Auf das ganze Jahr gerechnet ca. 36 TWh. Die Gesamtstromerzeugung in der Bundesrepublik lag in 2010 bei 620,8 TWh. Und das obwohl die Kraftwerke Brunsbüttel und Krümmel nicht in Betrieb waren.
Im Schnitt haben die 17 Atomkraftwerke je ca. 9 TWh in 2007 produziert. Wir hätten also ohne Not vier Atomkraftwerke abschalten können und in Deutschland wäre es zu keinerlei Problemen gekommen. Wir hätten nur weniger Strom exportiert, so wie in den zwanzig Jahren zuvor.
Wer benötigt dann noch Staudinger?

Kohlekraftwerke sind, wie auch von Herrn OB Claus Kaminsky benannt, „Steinzeitmodelle“! Das sieht z.B. offensichtlich auch RWE so. Anlässlich einer Bilanzpressekonferenz am 26.2.2010 lies RWE verlauten, dass der Erzeugungsmix des Konzerns derzeit zu rund 60 Prozent auf umweltschädlichen Stein- und Braunkohlekraftwerken basiert. Dieser Anteil soll nach der neuen Zielvorgabe in den kommenden 15 Jahren auf 25 Prozent gedrückt werden. Die bereits in Bau befindlichen Kohlekraftwerke in Hamm, Neurath und Emshaven dürften damit die letzten Kraftwerksprojekte der RWE sein, die auf Kohleverbrennung basieren. Kohlekraftwerke sind m.E. unwirtschaftlich und haben eine schlechte Energieeffizienz. Es würde mich nicht wundern wenn gleichartige wirtschaftliche und umweltpolitische Einschätzungen auch bei EON Platz greifen. Ob daher ernsthaft an dem Ausbau von Staudinger festgehalten wird, bezweifle ich.
Gebraucht werden in Zukunft regionale, kleinere Gaskraftwerke, die flexibel genug sind, um sich schwankenden Stromeinspeisungen aus erneuerbaren Energien anzupassen. Das würde bei entsprechender Netzinfrastruktur dazu führen, dass der Anteil an „erneuerbaren Energien“ am Energiemix gesteigert werden könnte. Folgerichtig sollte der Ausbau von Staudinger, wenn überhaupt, zu einem Gaskraftwerk hin betrieben werden.
Abgesehen von den zu erwartenden negativen Umweltbeeinflussungen des Standortes Hanau und Umgebung , ist es auch aus oben genannter überregionaler Sicht völlig richtig, seitens der Stadt Klage zu erheben um den von EON „noch“ geplanten Ausbau von Staudinger, zu Europas größtem Kohlekraftwerk, zu verhindern.

Siegfried Jorda
Hanau Steinheim




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Die Hanau-Post vom Samstag den 19.Februar 2011 veröffentlichte von Herrn Dirk Iding folgende Kolumne:


Klage eine Frage des Standorts?

An dieser Stelle mal eine ketzerische Frage. Wäre Großkrotzenburg im Zuge der Gebietsreform 1974 nach Hanau eingemeindet worden, würde dann die Brüder-Grimm-Stadt heute auch im Verbund mit Hainburg und Alzenau gegen den geplanten Staudinger-Ausbau klagen? Die Standortgemeinde jedenfalls, die seit Jahrzehnten gut von dem Kohlekraftwerk lebt, steht den Ausbauplänen ihres größten Gewerbesteuerzahler und Arbeitgeber positiv gegenüber, obschon die Großkrotzenburger Bürger von den Auswirkungen des Kraftwerkbetriebes kaum weniger betroffen sein dürften als die Hanauer, Hainburger oder Alzenauer. Sind also die Großkrotzenburger Politiker wirklich so verantwortungslos, dass sie in der Furcht um Gewerbesteuereinnahmen die angeblichen Gesundheitsgefahren für ihre Bürger, die vom geplanten Block VI nach Auffassung des die kommunale Klagegemeinschaft vertretenden Rechtsanwalts Mathias Müller-Meinecke ausgehen, bewusst in Kauf nehmen?

Hanau, Hainburg und Alzenau haben sich jedenfalls für den Klageweg entschieden. Sollte die EON-Konzernspitze nicht doch noch Abstand von dem 1,2 Milliarden Euro-Projekt nehmen, muss dann also der Hessische Verwaltungsgerichtshof oder möglicherweise sogar der Bundesverwaltungsgerichtshof entscheiden. Damit wird der Kraftwerksausbau um weitere Jahre verzögert.

Für viele Menschen in der Region ist das alleine schon eine gute Nachricht. Aber es gibt in der Bürgerschaft durchaus die anderen Stimmen, die die kommunale Klage gegen die vom Regierungspräsidium erteilte erste Teilgenehmigung für Block VI kritisch hinterfragen und bezweifeln, ob es sinnvoll ist, dafür zigtausende Euro Steuergelder auszugeben. Stimmen, die in der Modernisierung eines Kraftwerks, das künftig deutlich effizienter Strom produzieren würde, durchaus auch ein Beitrag für den Klimaschutz erkennen, wenn dafür veraltete Anlagen mit deutlich höherem CO2-Ausstoß pro erzeugter Kilowattstunden Strom stillgelegt werden. Denn dem Weltklima ist es schließlich egal, wo das Kohlendioxin ausgestoßen wird. Hauptsache, die Menge insgesamt singt. Und es gibt Stimmen, die auch bezweifeln, dass man trotz des Ausbaus regenerativer Energien in absehbarer Zeit tatsächlich auf die Kohleverstromung verzichten kann, auch wenn Oberbürgermeister Claus Kaminsky darin eine „Steinzeit-Technologie“ sieht. Nicht wenigen dürfte jedenfalls ein modernes Kohlekraftwerk deutlich lieber sein als die Laufzeitverlängerung für Atommeiler. Alle jene, die so denken, wurden bei der Klagerhebung der kommunalen Klagegemeinschaft jedenfalls nicht gefragt. An den Kosten im Falle einer Niederlage werden sie gleichwohl beteiligt.
 
 

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